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Writer's pictureRavenscroft & Schmierer

Ein Praktikum 8.760 km von zu Hause entfernt


Hong Kong – eine Metropole, wo die Grenzen zwischen Osten und Westen, der Tradition und Moderne ineinander verschwimmen. Ganz fern und anders als die Heimat in Deutschland. Genau dort wollte ich im Rahmen meines universitären Pflichtpraktikums hin, um über den Tellerrand der deutschen Jurisdiktion zu schauen. Neue Stadt, neue Rechtsordnung und neue Möglichkeiten der Weiterentwicklung auf sowohl persönlicher als auch beruflicher Ebene waren für mich die ausschlaggebenden Gründe, um mich für ein Praktikum im Ausland zu bewerben. Statt dem Rechtskreis des Civil Laws, wie dieser in Deutschland zu finden ist, basiert die Rechtsordnung in Hong Kong auf dem Common Law, welches in vielen englischsprachigen Ländern vorherrscht und auf die Historie der einstigen britischen Kolonie zurückzuführen ist.


Meine Bewerbung für ein Auslandspraktikum in Hong Kong


Bereits vor dem Praktikum war ich aufgrund meiner in Hong Kong lebenden Verwandten unzählige Male in der Stadt und war jedes Mal aufs Neue fasziniert von der Kultur, den Hochhäusern und der Schnelllebigkeit. Für mich war klar, hier möchte ich mal eine längere Zeit verweilen und einen Einblick in das Leben der Einheimischen erhaschen, statt wie ein Tourist nach nur ein paar Wochen wieder auszureisen. Die Prüfungsordnung für deutsche Jurastudenten schreibt die Ableistung eines Pflichtpraktikums vor, um für die erste staatliche Pflichtfachprüfung zugelassen zu werden. Warum also nicht den Drang, ins Ausland zu gehen, damit verbinden und somit zwei Dinge auf einen Streich abhaken.


Blick vom Kowloon Peak während der Abenddämmerung.


Als Studentin Rechtswissenschaften bin ich bei meiner Suche nach deutschen Volljuristen in Hong Kong auf die Website von CBBL – Cross Border Business Lawyers gestoßen, die mich auf Herrn Rechtsanwalt und Solicitor Stefan Schmierer aufmerksam machte. Aus Stuttgart stammend, ist er sowohl in Deutschland als Rechtsanwalt als auch in Hong Kong als Solicitor zugelassen und Managing Partner der Kanzlei Ravenscroft & Schmierer. Solicitor ist im Rechtssystem von Hong Kong, neben dem Barrister, die Bezeichnung für einen der beiden Berufsstände von Rechtsanwälten. Solicitors sind die Anlaufstelle bei Rechtsproblemen aller Art, während ein Barrister vor einem Gericht plädiert, Prozessschriften und andere gerichtsrelevante Schriftstücke entwirft.


Fast ein Jahr vor meinem gewünschten Praktikumsstart bewarb ich mich per E-Mail mit Anschreiben und Lebenslauf. Am darauffolgenden Tag erhielt ich bereits eine Rückmeldung und Einladung zum Bewerbungsgespräch, welches in derselben Woche noch stattfand. Ein sechsmonatiges Praktikum war kurz darauf gesichert, doch die Ungewissheit aufgrund von COVID-19 hing in der Luft.


Panik durch Coronabestimmungen bei der Vorbereitung und zermürbende Hotelquarantäne


Vor dem Antritt des großen Abenteuers musste allerdings erst einmal der ganze Papierkram erledigt werden. Ohne ein gültiges Arbeitsvisum konnte man in Hong Kong wegen der verschärften Einreisebestimmungen nicht einreisen. In meinem Fall war ein sogenanntes Training-Visa nötig. Bei der Beantragung dafür unterstützte mich die Kanzlei und reichte die nötigen Unterlagen bei der Hong Konger Einwanderungsbehörde, dem „Immigration Department", ein. Aufgrund der pandemischen Lage zog sich der Prozess in die Länge, sodass ich zwischenzeitlich am Zweifeln war, ob das Visum überhaupt genehmigt werden würde.


Die Hin- und Rückflüge waren aber bereits gebucht, meine Wohnung schon untervermietet und eine Auslandskrankenversicherung bezahlt. Was würde ich also machen, falls alles ins Wasser fallen sollte. Glücklicherweise kam das Visum neun Tage vor der geplanten Abreise per Kurier in Deutschland an und ich hielt es endlich in den Händen. Jedoch hatte ich bis dato weder eine Unterkunft in Hong Kong noch ein Quarantänehotel für die damals notwendige 14-tägige Quarantäne. Ohne ein solches Hotel gebucht zu haben durfte man nicht einreisen. Zwar hatte ich immer mal wieder danach geschaut, doch nichts endgültiges gebucht, da mich die Ungewissheit noch quälte. Panik kam auf. So kurzfristig ein Hotel zu finden, schien unmöglich, da alle Verfügbarkeiten ausgebucht waren.


Nach einigen Stunden auf diversen Hotelwebsites fand ich ein bezahlbares Hotel zur Überbrückung der Quarantäne. Die Suche nach einer Unterkunft war wesentlich unkomplizierter. Es gab viele Gruppen auf Facebook mit Anzeigen zur Vermietung von Wohnungen oder einzelnen Zimmern. So bin ich auf ein WG-Zimmer gestoßen, welches eine gute Fahrverbindung zum Büro hatte und für Hong Konger Verhältnisse relativ bezahlbar war. Man muss anmerken, dass die Mietpreise hier um einiges teurer sind als in Deutschland. Hong Kong ist nicht ohnehin eine der teuersten Städte der Welt.


Im Endeffekt konnte ich alles kurzfristig, wenn auch unter Stress, noch am selben Tag nach Erhalt des Visums erledigen. Es blieb nur noch den Koffer zu packen, sich von Familie und Freunden für ein halbes Jahr zu verabschieden und dann in den Flieger zu steigen. Die darauffolgende Anreise verlief zwar reibungslos ab, aber die 14-tägige Quarantäne zog sich gefühlt ins Grenzenlose. Diese zweiwöchige Unendlichkeit füllte ich mit viel Schlaf, Facetime mit Familie und Freunden, vor allem aber mit Netflix.


Freundliche Kollegen und ein abwechslungsreicher Alltag im Büro


Ravenscroft & Schmierer ist eine „Full Service“ Kanzlei, was bedeutet, dass das gesamte Spektrum der Rechtsberatung abgedeckt wird, mit breit gefächerten Kompetenzen und einem starken internationalen Fokus. Dementsprechend konnte ich Anwälte, Trainees und Paralegals in diversen Rechtsgebieten unterstützen. Hauptsächlich arbeitete ich im Gesellschaftsrecht, bei Streitfällen und dem Erbrecht mit. Nach viel Theorie an der Universität wurde es nun endlich Zeit für die Praxis. Das Büro im 22. Stockwerk hat eine fantastische Aussicht über den bekannten Victoria Harbour. Eine Aussicht, an der ich mich nie satt sehen kann.


Blick vom Büro der Kanzlei auf den Victoria Harbour.


Die klassischen Kaffee-kochen-und-Akten-scannen-Klischees eines Praktikums wurden hier alles andere als erfüllt. Bereits an meinem ersten Tag durfte ich viel eigenständig und eigenverantwortlich arbeiten. Meine erste Aufgabe bestand darin, eine Mandatsvereinbarung für einen neuen Mandanten aufzusetzen. Etwas, was ich davor noch nie gemacht hatte. Gerade beim Wechsel von der deutschen Sprache ins Englische und darüber hinaus vom Civil Law ins Common Law war nicht alles sofort verständlich und umso hilfreicher war es, dass alle Kollegen bei Fragen und Verständnisproblemen immer ansprechbar waren.


Ich wurde von allen herzlichst im Team willkommen geheißen und die tägliche gemeinsame Mittagspause war mein kleines Highlight des Tages. In der Umgebung des Büros gibt es viele Essensmöglichkeiten, wobei die traditionellen, lokalen Restaurants (sogenannte „Cha Chaan Teng“) und Dim-Sum-Lokale (eine Hong Konger Spezialität) es mir besonders angetan haben.


Links: Dim-Sum-Essen in einem traditionellen, lokalen Restaurant (eine sogenannte „Cha Chaan Teng“); Rechts: Centre Street im Stadtviertel Sai Ying Pun auf Hong Kong Island.


Bei der Arbeit kamen viele Fragen auf. Wie gründet man eine Firma in Hong Kong? Wie meldet man eine Firma in Hong Kong wieder ab? Wie überprüft man, ob eine Firma legitim oder doch vielleicht nur betrügerisch ist? Hätte man mich das zu Beginn alles gefragt, wäre meine Antwort gewesen: „Keine Ahnung!“ Denn Vorwissen über das Recht in Hong Kong hatte ich nicht. Mittlerweile habe ich Antworten darauf. Es gibt klar definierte Schritte, denen man folgen muss und eine Vielzahl an Dokumenten und Formularen, welche die Behörden verlangen. Im Vergleich zu Deutschland, so mein Eindruck, arbeiten die Behörden hier schnell und effektiv, sodass beispielsweise eine Firma bereits in wenigen Tagen unkompliziert und schnell gegründet werden kann.


Besonders spannend fand ich Fälle, in denen deutsche Unternehmen mit Unternehmen in Hong Kong vermeintliche Verträge abschließen, doch der Deal nicht wie geplant abläuft. Aus Sorge, dass es sich in Hong Kong um Betrüger handelt, wurden wir zum Beispiel von einem Unternehmen aus Deutschland mandatiert, um dies zu prüfen. Um das herauszufinden, musste ich unter anderem zu der registrierten Geschäftsadresse fahren und möglichst unauffällig Fotos von der Umgebung und vom Büro machen – ein sogenannter „Site Visit“. Dies wird für den Verifikationsbericht benötigt.


Eines der größeren Projekte, die ich mit auf die Beine stellen durfte, drehte sich um das neue deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, welches 2023 in Kraft tritt. Besonders in Hong Kong befinden sich Niederlassungen vieler deutscher Unternehmen, die davon betroffen sein werden. Um diese Unternehmen mit dem Gesetz näher vertraut zu machen, haben wir mit der deutschen Außenhandelskammer in Hong Kong (AHK) ein Seminar veranstaltet. Hierfür habe ich recherchiert, an einem Artikel mitgearbeitet und eine PowerPoint-Präsentation für das Seminar erstellt.


Zwischen Hochhäusern, Stränden und Palmen

Außerhalb der Büroalltags ist man hier in unter zwanzig Minuten weg vom Großstadtdschungel und mitten in der Natur. Strand und Wanderwege sind schnell erreichbar, wenn man der pulsierenden urbanen Sphäre zum Herunterkommen und zur Erholung entfliehen möchte. Es gibt unendliche Möglichkeiten, wie man hier seine Freizeit verbringen kann.


Wandern im Naherholungsgebiet Sai Kung ist bei Touristen und Einheimischen populär.


Die meiste Zeit verbrachte ich auf Hong Kong Island, wo sich das Regierungs- und Ausgehviertel, die Börse sowie die meisten großen Hochhäuser und Unternehmen befinden. Da sowohl mein Apartment, das Büro der Kanzlei als auch alle meine Freunde dort waren, bewegte ich mich nur selten aus diesem Kosmos heraus, um den Rest von Hong Kong, wie zum Beispiel Kowloon auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens zu erkunden. Hong Kong Island ist der internationale und eher westliche Teil der Stadt. Fast alle Expats und internationale Studenten residieren hier, was man auch deutlich merkt. Während man auf Kowloon eher schwer mit Englisch vorankommt, können selbst die meisten Einheimischen auf Hong Kong Island ohne große Probleme auf Englisch kommunizieren.


Karte von Hong Kong mit Hong Kong Island unten rechts.


Meine Freizeit und die Wochenenden verbrachte ich mit neu gefundenen Freunden. Wir erkundeten die Stadt, fuhren an Strände und entfernte Inseln oder gingen einfach nur Essen. Hong Kong ist nicht ohne Grund bekannt als Essensparadies.


An jeder Ecke gibt es etwas zu bestaunen und zu erleben. Wahrlich eine Stadt, in der es mir nie langweilig werden könnte.


Marktstände in der Fa Yuen Street im Stadtteil Mongkok, Kowloon.


Durch das Praktikum lernte ich, auf welches Rechtsgebiet ich mich spezialisieren möchte


Abschließend kann ich jedem ans Herzen legen, ein solches Praktikum im Ausland und besonders bei einer Kanzlei wie Ravenscroft & Schmierer in Hong Kong zu absolvieren. Nicht nur um das erlernte theoretische Wissen in die Praxis umsetzen zu können, sondern besonders für die persönliche Entwicklung. Tausende Kilometer von zu Hause entfernt in einer neuen Umgebung Erfahrungen zu sammeln bietet die Chance, sich selbst neu kennenzulernen und selbstständiger zu werden. Wenn ich auf mich vor einem halben Jahr zurückblicke, bin ich erstaunt, was diese eigentlich kurze Zeit bewirkt hat. Meine Person hat sich im Ganzen gefestigt und weiterentwickelt.


Auch für meine spätere berufliche Laufbahn hat sich herauskristallisiert, welche Richtung ich tendenziell einschlagen und auf welches Rechtsgebiet ich mich spezialisieren möchte. Ohne den hautnahen Einblick in die Realität der anwaltlichen Berufswelt durch das Praktikum hätte ich dies nicht so klar gewusst.


Tipp für zukünftige Praktikanten und Rechtsreferendare: Bewerbt euch ein Jahr im Voraus


Tut es! Ergreift die Chance, wenn sich eine ergibt, und bewerbt euch. Als Richtlinie gilt es allgemein, sich ungefähr ein Jahr vor dem gewünschten Beginn des Praktikums zu bewerben. Da sich sonst hauptsächlich nur Studenten aus Hong Kong für ein Praktikum bewerben, sind Bewerbung von angehenden Juristen aus dem deutschsprachigen Raum bei Ravenscroft & Schmierer immer gerne gesehen, um den German Desk zu unterstützen. Alles andere wird sich mit etwas Glück ergeben.





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